„Ich glaube, dass Wissenschaft lobbyieren muss“

Bild von Helga Kromp-Kolb vor einer Bücherwand
Helga Kromp-Kolb - aktiv fürs Klima, aber keine Klima-Aktivistin

Helga Kromp-Kolb – kaum ein Name ist in der österreichischen Öffentlichkeit ist so eng mit der Klimaforschung verbundene wie der ihre. Im Interview spricht die emeritierte BOKU-Professorin über ihre Motivation, das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik, Neid unter Kolleg:innen und warum ihr Engagement kein Aktionismus, sondern Lobbyismus ist. 

von Clemens Schreiber und Eva-Maria Steinkopf

Bild von Helga Kromp-Kolb vor einer Bücherwand
Helga Kromp-Kolb – aktiv fürs Klima

Frau Kromp-Kolb – kaum ein Name in Österreich ist im öffentlichen Bewusstsein so eng mit der Klimaforschung verbunden wie Ihrer. Wie kam es dazu?

Angefangen habe ich als Forscherin. Zunächst habe ich über Ausbreitung von Schadstoffen in der Atmosphäre, Schwefeloxide und Radioaktivität geforscht, später dann auch zu Fragen rund um den Klimawandel und wie er sich in Österreich auswirkt. Mit der Zeit wurde das unbefriedigend. Denn was heißt das? Dass die Welt zugrunde geht? Oder doch nicht? Die Forschung im Fachbereich hat mir keine Antworten auf diese Fragen geliefert. Ich habe mich dann dafür eingesetzt, dass vernetzte Initiativen in der kritischen und unabhängigen Klimaforschung entstehen.

Sie haben das Klimaforschungsnetzwerk Climate Chance Centre Austria (CCCA) mitgegründet. Was ist die Vision hinter dem CCCA?

Die Aufgabe ist einerseits forschungsorientiert: Das CCCA bestimmt die Forschungsagenda mit und macht die interdisziplinäre Forschung sichtbar.  Andererseits möchte das CCCA Ansprechpartner für Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit sein. In unserem Netzwerk entscheidet jeder für sich, ob man mehr den klassischen Forschungsfokus bedient oder die gesellschaftliche Verantwortung hervorhebt. Ich glaube, es ist klar, auf welcher Seite ich stehe.

Weshalb ist Ihnen das so wichtig?

Weil wir Erkenntnisse liefern müssen, mit denen die Gesellschaft etwas anfangen kann. Schließlich finanziert sie die Forschung. Um weiterhin Forschungsmittel zu bekommen, müssen unsere Ergebnisse sichtbar werden. Außerdem sucht die Politik oft die Wissenschaftler aus, die ihre Argumente stützen. Das sind oft einzelne Institute oder sogar Einzelpersonen. Das Center arbeitet aber in einem offenen und geregelten Prozess, in dem eine Vielzahl von Wissenschaftler:innen die Vorschläge ausgearbeitet hat. Durch diese Vielfalt im Forschungsprozess gewinnt der wissenschaftliche Beleg und nicht die Einzelmeinung.

Sie sagen, “die Politik sucht sich ihre Wissenschaftler”. Wie nahe sollen sich Politik und Wissenschaft denn kommen?

Wenn die Politik sich mit wissenschaftlichen Vorschlägen auseinandersetzt, will sie von der Wissenschaft wissen, was sie konkret tun soll. Das ist problematisch. Wenn dann die Politik immer die gleichen Institute fragt, und die immer enger an die Ministerien geknüpft sind, dann schränkt das die Freiheit und Unabhängigkeit der Institute zusehends ein.

Sie schränken ihre Meinung nicht ein. Ihre öffentlichen Beiträge gehen teilweise weit über Ihr Forschungsgebiet hinaus. Sie sprechen sich zum Beispiel offen für Bürgerräte aus, damit die Klimapolitik eine andere Legitimationsgrundlage bekommt. Mit solchen Forderungen verlassen Sie ja den Bereich Ihrer Forschung.

Ja. 

Verlassen sie damit nicht die Rolle der Wissenschaftlerin?

Ja, da wird es politisch. Und da verlasse ich den Boden, zumindest meines naturwissenschaftlichen Forschungsgebietes. Aber ich kenne das, was sich Experten wie mein Kollege Reinhard Steurer überlegt haben. Es gibt aber Erkenntnisse aus anderen Disziplinen, die zeigen, dass Bürger:innenräte viel mutigere Entscheidungen treffen als Politiker:innen. Wir brauchen mutige Entscheidungen.

Würden Sie sagen, dass das eine Art von Widerstand gegen bestimmte Entwicklungen in der Forschungs- und der politischen Landschaft in Klimafragen ist?  

Ja, Widerstand gegen das Verständnis, dass jeder nur darüber sprechen darf, wo er selbst die Zahlen in die Hand genommen hat und sie geknetet hat. Damit kommen wir nicht weiter, weil jeder Wissenschaftler so nur einen ganz begrenzten Themenbereich hat, über den er oder sie dann sprechen darf. Die Klimaprobleme lösen sich so aber nicht. Wir müssen über unseren Tellerrand schauen. Das steht nicht im Gegensatz zu Wissenschaft und Forschung, sondern gehört dazu. 

Würden Sie diese Ansicht als aktivistisch bezeichnen? 

Nein, ich habe mich neulich dagegen gewehrt, dass eine Journalistin mich als Aktivistin bezeichnet hat. Ich bin natürlich aktiv und die Grenze kann schwimmend sein. Aber ich bin keine Aktivistin. Ich gehe mit Fridays for Future demonstrieren. Ich stelle mich auch hinter die letzte Generation. Ich klebe mich aber selbst nicht an. Das ist nicht meine Rolle ist. Aber ich kann mit bestem Gewissen sagen, dass das, wofür sie kämpfen und wofür sie stehen, wissenschaftlich begründet ist. 

Protest mit wissenschaftlichem Beleg, sozusagen. Und das ist noch nicht aktivistisch? Zumindest ist das ja eine ziemliche Nähe zum Aktivismus…

Nein. Politisch ist das vielleicht, aber nicht aktivistisch. Ich mache keine Aktionen. Obwohl ich momentan sehr stark damit beschäftigt bin, mir mit den Kollegen aus der Wissenschaft zu überlegen, was wir tun können, um die nächste Wahl zu beeinflussen. Uns geht es darum, welche Informationen die Bevölkerung braucht, damit sie eine gute Wahl treffen kann. Oder welche Informationen politische Parteien brauchen, damit sie bestimmte Forderungen in ihr Wahlprogramm aufnehmen. Das ist politisch, aber es ist nicht aktivistisch.

Wenn das kein Aktivismus ist, könnte man es Lobbying nennen?

Lobbying ist sicher ein richtiger Ausdruck. Ich glaube, dass Wissenschaft lobbyieren muss. Aber nicht für, und das ist eben der Unterschied, eine bestimmte Interessensgruppe, sondern für die Gesellschaft, für eine Entwicklung in der Gesellschaft.

Das erfordert aber, dass die „Neutralität”, die in der Wissenschaft normativen Argumenten weicht. Beißt sich das nicht, mit Ihrer Rolle als Wissenschaftlerin?

Die Vorstellung, dass irgendwer in der Wissenschaft nicht normativ ist, ist falsch. Die Objektivität der Wissenschaft gibt es nicht. Ich sage zum Beispiel ganz offen, dass ich Nachhaltigkeit notwendig und wichtig finde und dass ich dem auch meine Forschung und Aktivitäten widme. Deswegen ist es für andere möglich, mich richtig einzuordnen. Man positioniert sich immer, auch wenn man es nicht merkt. Das gilt auch für uns Wissenschaftler.

Machen Sie es den Skeptiker:innen so nicht leicht, Sie in das aktivistisch abzutun und ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse gleich dazu?

Mittlerweile bin ich alt genug, war lange in der Wissenschaft, habe viele Regierungen miterlebt und war immer irgendwie in der Öffentlichkeit präsent. Das Wesentliche ist, dass man dem Thema gegenüber ehrlich bleibt. Ich habe unabhängig von der aktuellen Politik konsequent die Klimaagenda vertreten. Mit der Zeit wird das schon honoriert.

Wie glauben Sie wird ihr Engagement von anderen Wissenschaftlerinnen wahrgenommen wird? 

Am Anfang wurde das von den Kolleg:innen sehr ungern gesehen, dass ich mich den Medien zur Verfügung stelle. Der eine Grund ist, dass die Aussagen, die man medial macht, nie umfassend sind. Der andere Grund ist, dass es Neid gibt. Man wäre gerne bekannt, jedoch ohne die mit Mühen und Anfeindungen verbundenen Herausforderungen. 

Wäre es nicht leichter, Sie würden sich einfach auf Ihre Arbeit als Wissenschaftlerin beschränken? 

In erster Linie bin ich österreichische Staatsbürgerin beziehungsweise Weltbürgerin und interessiert daran, dass die Gesellschaft sich positiv entwickelt. Und ich tue das mithilfe der Wissenschaft. Aber ich bin nicht zuerst Wissenschaftlerin und dann Staatsbürgerin. Ich bin zuerst Staatsbürgerin und dann Wissenschaftlerin.