Der größte Buchenwald Mitteleuropas – der Wienerwald – kämpft mit den Konsequenzen des Klimawandels. Ein Kampf, der nicht folgenlos vorübergehen wird.
von Felix Mährenbach
Immer häufigere Stürme, immer neue Temperaturrekorde und immer längere Trockenperioden: Der Klimawandel treibt das Ökosystem Wald immer weiter an seine Belastungsgrenzen. Ein Baum im Besonderen, die Rotbuche, knapp jeder zehnte Baum in Österreich, kann diesem Druck immer weniger Widerstand leisten. Und der größte Buchenwald Mitteleuropas, der Wienerwald, steht genau vor der Haustür unserer Bundeshauptstadt. Die Buche prägt das Bild des Wienerwald. Ein Bild das sich ändern wird. Nicht heute, nicht morgen. Wahrscheinlich nicht einmal mehr zu unseren Lebzeiten. Aber dass der Klimawandel unser Waldbild verändert, merken wir schon heute.
Im Österreichischen Waldbericht 2023, schreiben die Autoren des Bundesforschungszentrums für Wald (BFW): “Nicht alle Auswirkungen der Klimaerwärmung sind für den Wald schlecht. Aber auch die positiven Effekte haben mitunter negative Konsequenzen.” Ein Satz repräsentativ für eine Dialektik, die in Försterkreisen üblich zu sein scheint. Spricht man mit Förster:innen und Forstwissenschaftler:innen, zeichnet sich eine Ruhe ab, die von den Bäumen und der mit ihnen verbrachten Zeit abzufärben scheint. Eine Rotbuche hat eine durchschnittliche Lebensdauer von 300 bis 500 Jahren. Um ein Lebewesen mit solch einer Lebenserwartung zu verstehen, muss man in anderen Perioden denken, nicht in Tagen oder Wochen, sondern in Jahrzehnten bis Jahrhunderten. Diese veränderte Perspektive auf den Fluss der Zeit scheint sich auf das Verhalten und Denken der Menschen in ihrem Umfeld auszuwirken.
Dr. Alexandra Wieshaider ist stellvertretende Betriebsleiterin des Biosphärenpark Wienerwald sagt: „Man gewöhnt sich daran, dass man in diesen großen Zeiträumen denkt und manche Dinge, die nur ein paar Jahre dauern, in dem Sinn einfach keine Bedeutung haben.” Ihr Büro in Purkersdorf lädt zum Verweilen ein – der Kaffee schmeckt, der Raum wird mit natürlichem Licht geflutet und wird von allen meint einem Lächeln begrüßt. Im Gespräch wirken Wieshaiders Worte bedacht, sie vermeidet Wertungen und finale Aussagen.
Fragt man sie nach der Zukunft des Wienerwaldes, stellt sie erst einmal klar, dass wir davon nichts miterleben werden. Über den Wald gibt es viele Missverständnisse: „Das ist auch immer, was die Leute sich erwarten. Der Klimawandel kommt, der Wald muss sich verändern oder wird sich vermutlich verändern und ich kann das in meinem Leben noch irgendwie optisch erfassen.”
Sie muss aber enttäuschen: „Der Wald ist ein langfristiger Beobachtungsgegenstand. Wenn sie einen Wald umbauen, können sie nicht davon ausgehen, dass der in fünf Jahren anders ausschaut, da spricht man eher von Zeiträumen von über 100 Jahren.” Ein Zeitraum mit viel Platz für Ungewissheit. Die Bundesforste wollen daher, eine möglichst hohe Biodiversität erreichen – also nicht alles auf eine Karte oder in diesem Fall auf einen Baum setzen. Sie wollen für verschiedene Klimaszenarien vorbereitet sein. Im Wienerwald bedeutet das laut Wieshaider zum heutigen Stand: mehr Eichen. Momentan sind es rund zehn Prozent des Bestandes, also jeder zehnte Baum. “Wenn wir es schaffen, den Anteil der Eichen in 100 Jahren zu verdreifachen, ist das schon gut.”, rechnet Wieshaider hoch. Damit wären im Jahr 2124 drei von zehn Bäumen im Wienerwald eine Eiche.
Und wieso Eichen? Dafür müssen wir aus Purkersdorf zurück nach Wien, in den 19. Bezirk zu Universitätsprofessor Torsten W. Berger, an die Universität für Bodenkultur und das Institut für Waldökologie.
Gegenüber im Türkenschanzpark dürfen Stadtkinder erahnen, was ein Wald sein könnte. Berger findet zwischen seinen Vorlesungen Zeit für ein Gespräch. Genau wie bei seiner Kollegin Alexandra Wieshaider erinnert seine Art an die Ruhe eines kräftigen Baumes. Berger lässt sich zu keinen endgültigen Feststellungen über die Zukunft hinreißen. Seinen Aussagen hängt immer ein wahrscheinlich, womöglich oder gegebenenfalls an. Wieso es womöglich in den nächsten Jahrzehnten mehr Eichen im Wienerwald geben wird und wieso er zur Beantwortung dieser Frage eine Schrotflinte braucht, erklärt er trotzdem.
Er leitet das Projekt WiWaKonKlim über die Anpassung der zukünftigen Baumartenmischung des Wienerwaldes an mögliche Konsequenzen des Klimawandels. Klingt kompliziert – ist es auch. Er versucht Bestockungsziele (Anbauziele) für den Wienerwald für verschiedene Klimaszenarien abzuleiten. Das Projekt läuft noch: “Ich möchte neutral an die Antworten herangehen und vorher die Auswertungen abwarten. Laut Literatur dürfte die Eiche aber in zukünftigen Bestockungszielen stark vertreten sein.”
Was er auf jeden Fall bestätigt: Die Buche, fast jeder zweite Baum im Wienerwald, kann den klimatischen Veränderungen immer weniger Widerstand leisten. Sie reagiert besonders empfindlich auf Bodentrockenheit und hohe Lufttemperaturen, zwei Konsequenzen des menschengemachten Klimawandels, denen die Eiche besser zu trotzen scheint.
Berger und seine Kolleg:innen wollen ermitteln, welche Bäume an welchen Standorten bei welchen klimatischen Bedingungen die besten Voraussetzungen im Wienerwald haben. Um ihre Prognosen zu untermauern, werden sie die nächsten Monate im Labor und vor dem Computer verbringen.
Zuvor haben sie über Monate hinweg Proben im Wienerwald gesammelt. Mehr als 2000 Bohrkerne haben sie den Bäumen entnommen. Vom Abstand der Jahresringe wollen sie Schlussfolgerungen für die Zukunft ableiten.
Zusätzlich haben sie mit rund 1400 Schuss Schrot Blatt- und Nadelproben gesammeln. “Du kannst dir vorstellen, was das für ein Spaß mit der Polizei war”, sagt Berger und für eine Sekunde spannt sich sein Gesicht in Erinnerung an den Stress an, “aber lustig war es auch.”
Berger muss weiter zu seiner nächsten Vorlesung: Waldbodenkunde. Die Ergebnisse seines Projekts werden frühestens Ende dieses Jahres veröffentlicht. Ob seine Prognosen recht behalten werden, wissen wir erst in ein paar Jahrzehnten. In solch großen Zeitintervallen denken zu müssen, die Früchte der eigenen Arbeit nicht miterleben zu können, kann einschüchternd wirken. Man kann es aber auch wie Alexandra Wieshaider sehen: “Auf der einen Seite ist das schade, auf der anderen Seite ist es auch befreiend, oder?”