So klebt es sich auf der Straße

Aktivist:innen der Letzten Generation blockieren einen Zebtrastreifen vor dem Parlament in Wien. Rechts und hinten im Bild stehen Polizist:innen und Polizeiwägen.
Vor dem Parlament dauerte es nicht lange, bis die Polizei den Protest auflöste. Foto: Hannah Neudeck

Seit 2021 treibt die Letzte Generation die Gesellschaft in den Wahnsinn. Doch wie ist es sich auf die Straße zu kleben und wer steckt dahinter?

von Hannah Neudeck

Es ist 7:30 Uhr an einem kalten Dienstagmorgen. Einen Tag zuvor ging die groß angekündigte Protestwoche der Letzten Generation in Wien los. Geplant sind an diesem Tag mehrere Sitzblockaden an den Hauptverkehrsadern der Bundeshauptstadt. Anja Windl, die neben Gründerin Martha Krumpeck eines der Gesichter der Letzten Generation ist, plant an diesem Morgen die Westeinfahrt zu blockieren. Erst am Abend zuvor erreichten die beteiligten Aktivist:innen die Information des Treffpunkts, wo genau geklebt wird, wissen nur die Truppenführer – Geheimhaltung ist das A und O. Hauptsächlich kommunizieren die Mitglieder per Signal, die ganz großen Entscheidungen trifft der innere Kreis, bestehend aus Gründerin Martha Krumpeck, Anja Windl und drei weiteren Personen. 

Ein Screenshot einer Signal Nachricht, auf der steht: "7:30 Uhr. TReffpunkt 07:30 im Franz Schimon Park (Google-Maps Link zu einem Standord) Es sind 7 Gehminuten von der Ubahn Hütteldorfer Straße, nicht auf der Straßenseite sondern bei den Fußgängern"
Erst am Abend vor den Protesten werden die Mitglieder über den Treffpunkt informiert.
Screeenshot: Hannah Neudeck

An diesem Dienstagmorgen versammelt sich also eine Gruppe an Protestierenden in einem Park in der Nähe der Westeinfahrt. Alleine oder höchstens zu zweit trudeln sie ein – es soll so wenig Aufmerksamkeit wie möglich erregt werden. 

Aktivist:innen der Letzten Generation sitzen am Gürtel in Wien.
Die Aktivist:innen treffen beim Protest oft auf Überraschungen.
Foto: Hannah Neudeck

„Man weiß nie, was auf einen zukommt“

Kurz vor 8 Uhr trifft Anja ein und die Besprechung geht los. Heute wird ausnahmsweise nicht geklebt: “Wir gehen auf die Straße, setzen uns hin. Wenn die Polizei auftaucht, teilen wir uns auf. Geht auf jeden Fall einzeln weg, damit keiner von uns erwischt wird”. Jeder Kleingruppe wird ein Zebrastreifen zugeordnet. Hinter Jacken und unter Pullovern werden Warnwesten und Banner ausgetauscht. Kerstin ist einer der Aktivistinnen, die an diesem Tag an den Sitzblockaden teilnimmt. Seit einem dreiviertel Jahr ist sie Mitglied bei der Letzten Generation. Ihren ersten Klebeprotest als “Biene” wird sie immer in Erinnerung behalten, sagt sie. Nervös, sagt Kerstin (28), sei sie vor jedem Protest: “Man weiß einfach nie, was auf einen zukommt”.  

Die Bienen kleben, die Supportis filmen

Bei den Klimaklebern werden den Demonstrant:innen bestimmte Rollen zugeteilt. Während die “Bienen” sich festkleben, filmen die “Supportis” die ganze Aktion mit, versenden die offizielle Presseaussendung, kümmern sich um die Sicherheit der “Bienen” und verständigen die Rettung vorab von den Blockaden.

Kurz nach 8 Uhr ist es dann soweit: Per Anruf koordinieren sich die Gruppen miteinander – Alle sind bereit, die Blockade anzufangen. Die Rettung wird über die bevorstehenden Blockaden informiert und es geht los. Bei Rot spazieren die Aktivisten über die Straße, packen ihre Westen aus, nehmen die Banner in die Hand und bleiben felsenfest stehen. Es dauert nicht lange, bis ein regelrechtes Hupkonzert losgeht.

Es geht los: Bei Grün gehen die Aktivist:innen über die Straße und beginnen ihren Protest.
Video: Hannah Neudeck

Als eine Tierärztin nach einigen Minuten Stillstand nach vorne läuft, gibt es Tumult: “Ich habe einen medizinischen Notfall in meiner Klinik, bitte lasst mich durch!”. Die Aktivisten zögern nicht lange und entfernen sich vom Zebrastreifen. Sobald die Ampel wieder auf Rot springt und die Ärztin durchfahren konnte, breitet sich die Gruppe abermals auf dem Zebrastreifen aus. Der Pöbel beginnt kurz danach. 

Eine Tierärztin bittet die Aktivist:innen Platz zu machen.
Video: Hannah Neudeck

Autofahrer:innen wehren sich

Das Autofahrer:innen immer aggressiver auf die Blockaden der Klimaaktivist:innen reagieren, wurde erst einen Tag zuvor klar: Als eine kleine Gruppe rund um Anja Windl die A2 mit Sekundenkleber, Warnwesten und Bannern besetzte, brüllten und schütteten die Autofahrer:innen mysteriöse Flüssigkeiten über die Truppe – Ein Installateur sprühte ihnen sogar eine chemische Lösung ins Gesicht. 

Auch heute und ohne Kleben brodeln die Autofahrer:innen vor Wut. Einer von ihnen reißt zwei Aktivisten sogar die Banner aus der Hand, schüttet seine Wasserflasche auf eine sitzende Protestierende aus und wirft die Flasche nach ihnen.  Einige Zeit später sind die Sirenen bereits zu hören – Die Polizei ist unterwegs. Sobald sich das Blaulicht nähert, zerstreuen sich die Aktivisten: Nächster Treffpunkt: Bruno Kreisky Park. 

Ein aggressiver Autofahrer schüttet seine Wasserflasche über die Aktivist:innen.
Video: Hannah Neudeck

In diesem Jahr protestieren die Klimaaktivisten 217 Mal. Davon waren 153 Straßenproteste, 33 Protestmärsche und 29 Sonderproteste, wie Unterbrechungen bei einem Skirennen oder das Besprühen von verschiedensten Gebäuden.

“Wenn Menschen so behandelt werden, nur weil jemand für seine Zukunft protestiert, kann ich nicht bloß zusehen”, erinnert sich Tobias (26) an seinen Einstieg in die Letzte Generation zurück. Seit einem Jahr klebt er für das Klima – inspiriert von einer niederländischen Bekannten, die bei einem Klimaprotest an einem Flughafen mit Schlägen, Tränengas und anderen Brutalitäten konfrontiert wurde. “Der einzige Grund, der mich zum Ausstieg aus der Letzten Generation bringen würde, wäre, falls sich die Gruppe radikalisiert. Sowas mach ich nicht mit”, erzählt er weiter. Doch überzeugt davon, dass friedlicher ziviler Widerstand hilft, möchte er alles für die Letzte Generation geben. 

Widerstand, aber bitte friedlich

Wenn gefragt, wieso eigentlich diese Methode des Protests, beziehen sich die Klimaaktivist:innen immer wieder auf eine von Maria J. Stephan and Erica Chenoweth durchgeführten Studie. Die US-amerikanischen Forscherinnen haben sich gefragt, wieso ziviler Widerstand funktioniert. In einem Erhebungszeitraum von 1900 bis 2006 fanden sie heraus, dass 53 Prozent aller friedlichen und nur 26 Prozent aller gewaltvollen Proteste erfolgreich waren. Grund für die Macht des zivilen Widerstandes sei das konstante Engagement zum friedlichen Protest, der das Ansehen der Gruppe international erhöht. Dadurch würden sich immer mehr Menschen der Bewegung anschließen, bis diese nicht mehr zu ignorieren sei und Druck auf ihre Gegner aufbaut. Außerdem würde gewaltvolles Vorgehen des Gegners nach hinten los gehen. Zu guter Letzt würde der Kontrast zwischen friedlicher Bewegung und dem gewaltvollem Gegner dafür sorgen, dass Organisationen wie die Letzte Generation von der Gesellschaft weniger als extremistische Vereinigungen betrachtet. Die öffentliche Bezeichnung der Letzten Generation als “radikale Bewegung” durch Politiker wie Innenminister Karner (ÖVP) oder der Vorwurf des “Klimaterrorismus” von Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp steht im Kontrast zu den offenbar friedlichen Methoden der Aktivist:innen. Ob die von der Studien erwartete Zustimmung in der Bevölkerung funktioniert, ist unklar. 

Es dauerte nicht lange, bis das Hupenkonzert bei den Protesten losgeht.
Video: Hannah Neudeck

Beim Bruno Kreisky Park angekommen, zögern die Aktivist:inne nicht lange. Inzwischen ist es 10 Uhr Morgens. Am Weg zur nächsten Sitzblockade begegnet den untergetauchten Aktivist:innen eine Polizeieinheit nach der anderen. So nutzt jede:r einen anderen Ausgang bei der U-Bahn, fährt eine Station weiter oder geht den Weg zu Fuß. Alles, um so unauffällig wie möglich zu bleiben. Kurz bevor der Protest losgeht werden die Blockaden mit den anderen Gruppen in Wien koordiniert und  die Rettung verständigt. Die zweite Sitzblockade hält nicht lange an. Vorbeigehende Passanten klatschen, aus Fenstern umher stehender Häuser wird gejubelt. Als ein Autofahrer versucht, eine Aktivistin mit dem Auto anzufahren, schreitet eine Passantin sogar ein, um sie zu schützen. 

Hinsetzen, warten, auflösen

Nach 10 Minuten taucht ein Großaufgebot der Polizei auf: “Sie haben zwei Minuten Zeit, die Versammlung aufzulösen”, verkündet es und abermals löst sich die Gruppe auf. An diesem Tag macht die Letzte Generation, ebenso wie die Polizei, Gebrauch vom Versammlungsrecht. Da die Aktivist:innen jeweils zwei Minuten Zeit haben, sich freiwillig aufzulösen, kommen die meisten an diesem Tag ungestraft davon. Wer beim Verlassen der Blockade gefasst wird, wird gestraft.

Die Polizei gibt ihnen zwei Minuten lang Zeit, um sich aufzulösen.
Foto: Hannah Neudeck

“Ich muss einfach etwas tun. Ich kann nicht tatenlos zusehen. Und wenn wir trotzdem nichts bewirken, habe ich es wenigstens probiert”, ist Emils (21) Motivation bei der Letzten Generation mitzumachen. Er sei erst kürzlich beigetreten, an diesem Tag protestiert er zum ersten Mal im Straßenverkehr. “Ich denke nicht, dass die Regierung unseren Anforderungen entgegenkommen wird. Dafür hoffe ich aber, dass es mehr Unterstützung aus der Bevölkerung gibt”, erzählt er am Weg zum nächsten Treffpunkt. Diesmal soll der Gürtel in beide Richtungen blockiert werden. 

In die Augen schauen, um nicht überfahren zu werden

Bevor eine “Biene” sich für das Klima auf der Straße festklebt, muss sie ein intensives Protesttraining durchführen. Dort lernen die Aktivist:innen nicht nur, wie sie sich so schmerzlos wie möglich festkleben, sondern auch, wie sie mit gereizten Autofahrer:innen umgehen sollen. “Uns wurde gesagt: Wenn wir denken, dass uns jemand anfahren möchte, müssen wir standhaft bleiben und der Person in die Augen schauen”, erklärt Emil. So würden sich die Fahrer:innen im Normalfall nicht mehr trauen, die Aktivist:innen zu verletzen. Ausgelegt seien die Proteste immer auf Konfliktvermeidung. “Wir wehren uns nicht wenn wir angegriffen werden, schlagen nicht zurück und widersetzen uns nicht der Festnahme”. 

Ich muss einfach etwas tun. Ich kann nicht tatenlos zusehen und wenn wir trotzdem nichts bewirken, habve ich es wenigstens probiert

Emil (21), Mitglied bei der Letzten Generation

Die Blockade am Gürtel läuft unter besonders gefährlichen Umständen ab. So wird Emil mehrmals von einem Autofahrer angefahren, auch Anja muss sich einer ungeduligen Autofahrerin widersetzen. Als diese sie immer wieder anfährt, setzt sich die Aktivistin auf den Boden und streckt ihre Arme. “Supporti” Marianne (53), die neben ihrer Arbeit in der Freizeit fürs Klima kämpft, fotografiert die Nummernschilder der PKWs. “Damit wir sie anzeigen können”, erklärt sie. Die gereizte Stimmung nimmt nicht ab, tonal unterstrichen von Beleidigungen und Hupenkonzerten wird Emil immer wieder vom gereizten Autofahrer gepackt und auf den Gehsteig gezogen. Der 20-Jährige lässt sich aber nicht kleinkriegen und setzt sich wieder vor das Auto. Bevor es zu einer kompletten Eskalation der Gewalt kommen kann, ist schon die Polizei da. Rund zehn Polizisten stellen sich zwischen Autos und Aktivist:innen.

Aktivist:innen der Letzten Generatin sitzen auf einem Zebrastreifen vor drei Autos.
Damit sie nicht überfahren wird, hebt Anja ihre Hände.
Foto: Hannah Neudeck

Der Schutz der Letzten Generation ist in diesem Moment die oberste Priorität der Beamten. Als der aggressive Fahrer von einem Polizisten in die Schranken gewiesen wird und sich die Situation wieder beruhigt werden die Aktivist:innen erneut zum Auflösen aufgefordert. Ein letztes Mal an diesem Tag zerstreut sich die Masse.

Ein Autofahrer versuchte zwei der Aktivisten vom Zebrastreifen zu drängen.
Video: Hannah Neudeck

Endspurt vor dem Parlament

Zu guter Letzt ist eine Blockade vor dem Parlament geplant. Am Weg dorthin muss Emil seine Erfahrungen verarbeiten, Leon (20) sein Studienkollege beruhigt ihn: “In solchen Momenten ist man dankbar, wenn die Polizisten da sind. Der Vorteil ist, dass sie uns schützen müssen und nicht die Fahrer vor uns”, erklärt Leon. Auch er ist Klimaaktivist bei der Letzten Generation. Nachdem der erste Schock abgeklungen ist, warten die Beiden vor dem Burgtheater auf ihren Einsatz. Als ein schwarzgekleideter Mann drei mal an ihnen vorbeigeht verstecken sie sich im Volksgarten. “Als ich meinen Eltern erzählt habe, dass ich jetzt bei der Letzten Generation sind waren sie natürlich beunruhigt, aber sie unterstützen mich mittlerweile”, sagt Emil.

Aktivist:innen der Letzten Generation blockieren einen Zebtrastreifen vor dem Parlament in Wien. Hinten im Bild stehen Polizist:innen und Polizeiwägen.
Vor dem Parlament dauerte es nicht lange, bis die Polizei den Protest auflöste.
Foto: Hannah Neudeck

Es ist mittlerweile 12 Uhr Mittags. Nur 5 Minuten blockiert die Letzte Generation den Zebrastreifen vor dem Parlament, ehe die Polizei die Räumung beordert. Für heute habe es sich laut Leon ausdemonstriert. Nur wenige Stunden später kleben erneut ein paar “Bienen”, darunter auch Anja Windl, mit Sand und Sekundenkleber auf jenem Zebrastreifen. Festnahmen folgen, Gruppenverläufe auf Signal werden gelöscht. Anja Windl wird für mehrere Tage in Untersuchungshaft untergebracht. Als sie wieder rauskommt, sitzt sie erneut auf der Straße. Die Aktivist:innen der Letzten Generationen sind unaufhaltsam. Der Protest geht also weiter.