„Listen to the science”? Achtunddreißig Prozent der Österreicher:innen hören lieber auf den Hausverstand als auf die Wissenschaft. Vor allem die für Klimaaktivist:innen so wichtige Ökologie verliert an Vertrauen. Hat das mit dem Engagement von Klimaforscher:innen zu tun?
von Clemens Schreiber und Eva-Maria Steinkopf
Wissenschaft in Kontroversen
Heinz Fassman, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), erklärt auf Nachfrage des Standards, dass der Vertrauensschwund in die Ökologie- und Klimaforschung mit der Polarisierung in Klimafragen zusammenhänge. Gerade die Klimaforschung solle Abstand zu tagespolitischen Themen wahren, um Vertrauen zurückzugewinnen, so Fassmann. Sein Statement richtet sich also genau gegen die Forderung der Klimabewegung, die eine stärkere Einmischung der Wissenschaft in die politischen Kontroversen explizit wünscht. Positionieren oder raushalten? Die Frage nach der gesellschaftspolitischen Verantwortung der Wissenschaft, und wie sie dieser am ehesten nachkommt – gerade in der Klimadebatte – drängt sich auf.
Hörsaal oder Straße – wohin gehört die Wissenschaft?
Im Grunde herrscht in Klimafragen in der Wissenschaft Konsens – zumindest hinsichtlich der Deutung der Forschungsergebnisse: Die Erde erhitzt sich, der Grundwasserspiegel sinkt und die Meere versauern. Die Menschheit muss handeln, um die Risiken des Klimawandels einzudämmen – so der weitestgehend einhellige Schluss. Doch wie weit sollen Wissenschaftler:innen gehen, um auf den Handlungsbedarf hinzuweisen? Sollten sie sich darauf beschränken, verwertbare Erkenntnisse zu liefern? Oder haben Wissenschaftler:innen sogar eine ethische Pflicht, Politiker:innen zu beraten und an die breite Öffentlichkeit zu appellieren?
Reinhard Steurer, Professor für Umweltpolitik an der BOKU Wien, zum Beispiel tritt für eine engagierte Wissenschaft ein, die sich aktiv in gesellschaftliche Debatten einbringt und die Politik in der Klimafrage zum Handeln aufruft. Am Rande eines Klimaprotestes am Praterstern in Wien solidarisierte er sich mit dem zivilen Widerstand der Klimabewegung: „Ich habe feststellen müssen, dass diese Aktivisten mit ganz simplen Aktionen eine Bereicherung für den öffentlichen Diskurs sind“, auch wenn sie lästig seien, sagt Steurer.
Sympathien für umstrittene Protestformen bekunden? Die Österreichische Akademie der Wissenschaften sieht Wissenschaftler:innen in einer anderen gesellschaftlichen Rolle. In der Akademie halte man es frei nach Weber: Wissenschafter:innen gehören in den Lehrsaal, nicht auf die Straße. Um das der Forschung entgegengebrachte Vertrauen zu erhalten, müsse die Wissenschaft die Distanz zu anderen Lebensbereichen wahren, sagt Debora Knob, Sprecherin des Präsidiums der Akademie der Wissenschaften in einem Gespräch. Aus Perspektive der Gelehrtenvereinigung ÖAW beweist sich also gerade in der Enthaltung einer Wertung der Wert der Wissenschaft für die Gesellschaft.
Erwartungen an die Wissenschaft
Und was erwartet sich die österreichische Bevölkerung von der Wissenschaft? Schaut man sich die Ergebnisse im Wissenschaftsbarometer der ÖAW an, ist der Erwartungshorizont weit und herausfordernd. So wünscht sich ein Großteil der Befragten, dass Wissenschaftler:innen ihren klassischen Aufgaben nachkommen: Vorträge halten und publizieren. Gleichzeitig sollen Wissenschaftler:innen sich aber auch aktiv in die politische Debatte einbringen, durch Petitionen und Leserbriefe.
Sogar die politischen Entscheidungen öffentlich kommentieren – satte 73 Prozent wünschen sich das. Dass Wissenschaftler:innen demonstrieren oder sich aktivistisch zeigen, lehnt hingegen eine breite Mehrheit ab.
Das Erwartungsprofil, das sich aus den Befragungsergebnissen ergibt, ist komplex. Wo die Bevölkerung nach Sicherheit und Stabilität in den Stimmen der Wissenschaft zu suchen scheint, schwindet die Sicherheit der Wissenschaftler:innen, wenn es um die an sie herangetragenen Erwartungen geht. Wissenschaftler:innen müssen sich in ihrer Rolle stets auf einem Grat zwischen Neutralität und Positionierung bewegen, von dem sie nie sicher wissen können, wie breit oder schmal er gerade ist.
Und nicht nur mit den Erwartungen der Öffentlichkeit, auch mit denen der Politik ist die Wissenschaft konfrontiert. Um ihren Entscheidungen Nachdruck zu verleihen, berufen sich Politiker:innen gerne auf Fakten, Statistiken und Studienergebnisse. Allerdings ist das Interesse daran nicht ohne Eigennutz.
Es liege nicht im Interesse der Politik, den Austausch zur Wissenschaft aktiv zu suchen oder deren Erkenntnisse reflektiert in politisches Handeln zu übersetzen, meint Michael Weigl, Politikwissenschaftler an der Universität Passau. Die Erkenntnisse der Wissenschaft seien für Politiker:innen meist nur dann bedeutend, wenn sie ihre eigene Agenda stützen. Dass das für die Wissenschaft auch die Gefahr birgt, zum Spielball der Politik zu werden, hat sich während der Coronapandemie gezeigt.
Wie positionieren sich Wissenschaftler:innen
Aus den Erwartungen der Gesellschaft und der Politik einen klaren gesellschaftspolitischen Auftrag der Wissenschaft abzuleiten – eine Herausforderung. Umso mehr im Kontext klimapolitischer Fragestellungen, in denen eher eine polarisierte als differenzierte Debatte herrscht. Einen Königsweg sucht man vergebens. Helga Kromp-Kolb trotzt schon seit vielen Jahrzehnten den konventionellen Vorstellungen, wie eine Wissenschaftlerin zu sein hat. Für manche eine Pionierin der österreichischen Klimaforschung, für andere zu radikal, zu öffentlichkeitswirksam, Kromp-Kolb geht ihren eigenen Weg.
Stolz trägt sie eine bunte Brosche über ihrer Brust, als Symbol für die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen. Dazu zählen auch Maßnahmen zum Klimaschutz und die Absicherung von Leben an Land und unter Wasser. Kromp-Kolb scheut die Positionierung nicht.
Auch im Politischen. „Gerade bin ich sehr stark damit beschäftigt, zu überlegen, was wir Wissenschaftler:innen tun können, um die nächste Wahl zu beeinflussen”, erzählt sie. Für sie voll im Rahmen ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung als Bürgerin und Wissenschaftlerin.
„Hört nicht auf die Wissenschaft”
Kromp-Kolb sieht die Wissenschaft also in der Pflicht, ihre Ergebnisse so zu vermitteln, dass sie für Bürger:innen verständlich sind und Gruppierungen unterstützen, die diese Ergebnisse aufgreifen. Darunter zählt Kromp-Kolb zum Beispiel die letzte Generation. Auch wenn die Professorin nicht bei der letzten Generation mitmachen würde, „ist das, wofür sie kämpfen und das, wofür sie stehen, wissenschaftlich fundiert”. Die Erkenntnisse von Kromp-Kolb und anderen Klimaforscher:innen sind nicht nur Motivation für das Handeln von Klimakleber:innen, sondern dienen auch als deren Legitimationsgrundlage. Denn Aktivistin:innen fordern die Politik dazu auf, die wissenschaftlichen Erkenntnisse ernstzunehmen. “Follow the Science” ist der Leitspruch von Fridays for Future und die Wissenschaft beweise, laut der letzten Generation, dass die Klimakrise alles auf das Spiel setzt.
Wissenschaftler:innen können aber nie eindeutige Fakten oder genaue Prognosen für die Zukunft liefern. Jede noch so gute Prognose ist schlussendlich nichts anderes als eine Wahrscheinlichkeitsaussage darüber, unter welchen Voraussetzungen ein Ereignis eintreffen wird oder nicht. Wissenschaftler:innen sammeln Daten, ordnen ihre Ergebnisse ein und schaffen es dadurch, Erklärungen zu liefern und die Zukunft ein Stück weit greifbarer zu machen. Einen Absolutheitsanspruch an die Wahrheit können aber auch sie nicht stellen, ist es doch gerade die kritische Haltung der Wissenschaft gegenüber Dogmen, die sie ausmacht. „Hört nicht auf die Wissenschaft”, rät der Politikwissenschaftler Michael Weigl sogar Gesellschaft und Politik. Die Wissenschaft solle und könne nicht entscheidend für politische Entscheidungen sein und siehe da: Sie ist es auch nicht. Die klimapolitischen Forderungen der Parteien könnten nicht weiter auseinanderliegen.