Während jüngere Generationen Quiet Quitting als ‘Dienst nach Vorschrift’ sehen, verstehen Arbeitgeber:innen und ältere Jahrgänge darunter einen Verrat der gängigen Arbeitsethik – dabei ist der Grundgedanke alles andere als neu.
von Anke Mandl, Katharina Darya Ressl und Lisa Marie Wögerbauer
@zaidleppelin On quiet quitting #workreform ♬ i thought you wanted to dance – ruby
„Realität ist, dein Wert als Person, ist nicht durch deinen Output definiert“ – 2022 spricht TikToker @zaidleppelin in einem Video erstmals über den Begriff Quiet Quitting. Grundgedanke: Wir sind mehr als unsere Arbeitsleistung und unser Lebenssinn, unser Wert als Mensch ist nicht an Jobtitel gebunden. Ein Shitstorm bricht über ihn herein. Doch der Tenor in den Kommentaren ändert sich, ein Trend entsteht: Quiet Quitting, „stilles Kündigen”. Gekündigt wird der Leistungsgesellschaft. Keine Überstunden, keine Extrameile, keine Zusatzaufgaben – es gilt der Dienst nach Vorschrift.
Seitdem prallen Gegensätze aufeinander. „Wie kann es sein, dass, wenn ein Arbeitnehmer nur das macht, was im Arbeitsvertrag steht, das als stilles Kündigen bezeichnet wird?“, fragt die österreichische Comedienne Toxische Pommes. Die einen verstehen Quiet Quitting als Kampfruf einer faulen Generation, während die anderen es als Ausweg aus der Leistungsgesellschaft sehen.
VoxPop: junge Erwachsene über Quiet Quittung
Gen-Z oder Gen-laZy?
Sind junge Menschen einfach faul? Blödsinn, findet Arbeitspsychologin Claudia Altmann. „Die junge Generation überlegt sich einfach: Was sind meine Prioritäten, wofür lebe ich und was macht ein lebenswertes Leben aus?“
Unternehmen nehmen das ähnlich wahr. Elisabeth Burgis, Head of Human Resources der Baustofffirma Quester erlebt jüngere Menschen als selbstbewusst, „da bewundere ich junge Menschen manchmal“. Spätestens bei den Ansprüchen scheiden sich allerdings die Geister. Unrealistische Anforderungen würden zwar Druck erzeugen, aber „Erwartungen zu setzen und die Extrameile zu verlangen, das ist für mich ganz selbstverständlich”, sagt Burgis.
Wunsch-Teilzeit, bedingungsloses Grundeinkommen, 4-Tage-Woche – die Idee einer Arbeitszeitreduktion, bzw. das Streben nach einem Leben abseits des Arbeitsplatzes, ist kein Novum des 21. Jahrhunderts, stellt Altmann klar. „Wenn man die Geschichte der Arbeit betrachtet, ist es immer wieder um Arbeitszeitreduktion gegangen. Um die Vereinbarkeit von Familie, Wohlbefinden und Beruf.“ Begrenzte Arbeitszeiten, wie wir sie heute kennen, entwickeln sich erst durch die Industrialisierung Anfang des 19. Jahrhunderts und die damit einhergehende Trennung von Privat- und Arbeitsleben. Geregelt sind diese Zeiten aber nicht – eine 70-Stunden-Woche, keine Seltenheit. Erst 1859 wird der Arbeitstag in Österreich auf 11 Stunden begrenzt und das Arbeitspensum seitdem schrittweise reduziert.
Dennoch scheint der Wunsch nach mehr Balance zwischen Arbeit und Privatleben eine junge Stimme zu haben. Während Arbeits- und Vergütungsmodelle weitgehend gleichgeblieben sind, hat sich das Leben jüngerer Generationen verändert. Konservative Familienstrukturen, die das 40-Stunden-Konzept begünstigt und überhaupt erst ermöglicht haben, werden aufgeweicht. Vor allem jedoch die wirtschaftliche Lage ist eine völlig andere.
Während Löhne und Gehälter stagnieren, steigen die Lebenshaltungskosten rasant. Hausbau oder Eigentumswohnung? Für den Großteil der Gen-Z absolut utopisch. „Meine Kinder werden es einmal besser haben“ – das Generationsversprechen, sich mit Arbeit ein besseres Leben erwirtschaften zu können, ein zerbrochenes Relikt vergangener Zeiten. Jüngere Menschen sehen in Quiet Quitting und Work-Life-Balance eine Alternative zum Status quo der Leistungsgesellschaft.
Alex Edelman über Immobilienpreise
(c) Comedy Central Stand-Up
Tell me WHY…
„Ich muss viel mehr hineinstecken als in der Jobbeschreibung vereinbart ist, wenn ich ein gutes Zeugnis will, oder eine Anstellung“, diesen Eindruck haben insbesondere Praktikant:innen, Trainees und Berufseinsteiger:innen, erklärt Altmann. Menschen sind mit ihrem Job immer unzufriedener, nicht nur in Österreich. Eine Studie der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) in Deutschland zeigt, dass Arbeitsausfälle aufgrund von Depressionen und ähnlichen Erkrankungen im ersten Halbjahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 85% gestiegen sind. In Österreich ist die Lage ähnlich düster, wie eine IFES-Studie zum Arbeitsklima-Index-2022 im Burgenland zeigt. „Das Arbeitsklima ist auf einem historischen Tief und vor allem der psychische Stress wird zur immer größeren Belastung. Das ist eine Folge der Pandemie, aber auch davon, dass immer mehr Arbeit auf immer weniger Schultern verteilt wird“, sagt AK-Burgenland-Präsident Gerhard Michalitsch.
Quiet Quitting „ist eine Form von Selbstfürsorge und Abgrenzungsfähigkeit.“, erklärt Claudia Altmann. „Das ist ja auch etwas, was Arbeitnehmer:innen eigentlich tun sollten. Wir haben die Verantwortung, für unseren Job fit zu sein.“ Durch den Dienst nach Vorschrift, grenzen wir uns von unserer Arbeit ab. Das lässt mehr Zeit für Hausarbeit, Hobbys oder Erholung. Laut Altmann macht uns Quiet Quitting dadurch sogar produktiver. „Wir glauben, Selbstfürsorge ist egoistisch, aber umso besser es uns geht, umso motivierter sind wir. Wir sind konzentrierter, machen weniger Fehler und erleben auch mehr Sinn in unserem Tun“. Mitarbeiter:innen setzen damit Grenzen, die bei vielen Unternehmen nicht gut ankommen.
The Business of Quiet Quitting
„Wer am Zahn der Zeit bleiben will, braucht jene, die die Zeit widerspiegeln“, für den Unternehmer Friedrich Csörgits ist die jüngere Generation ein Faktor für wirtschaftlichen Erfolg. Seit mehr als 30 Jahren ist der Serial-Entrepreneur im Immobilien- und Marketingbereich tätig. Für die wandelnden Arbeitsvorstellungen seiner Mitarbeiter:innen ist er offen. “Sie wollen andere Rahmenbedingungen für ihre Arbeit. Was ist schlimm daran? Meine Eltern haben für die 40h-Woche gekämpft, diese Generation kämpft für die 30h-Woche.” Für Csörgits ist es mangelnde Wertschätzung, die engagierte Mitarbeiter:innen zu Quiet Quittern macht. Auszeit: Sind Quiet Quitter etwa nicht engagiert?
Wie HR-Expertin Elisabeth Burgis betont, ist Quiet Quitting im Unternehmen oft kein langfristiger Zustand. Es ist ein inneres Ausschleifen, „wenn Arbeitnehmer das Unternehmen mental also bereits aufgegeben haben und dabei sind, sich eine Alternative zu suchen“ – also wortwörtlich stilles Kündigen. Tatsächlich verfehlt das aber die Bedeutung der Quiet-Quitting-Bewegung. Es ist nicht das Ziel, schlechtere Arbeit zu leisten oder im Büro auf Cruise-Modus zu schalten. Wie Finn Bartram vom HR-Magazin People Managing People es treffend ausdrückt: “Es geht nicht darum, dass sie [Anm.: Gen-Z] nicht hart arbeiten wollen. Aber sie wollen nicht mehr für die Arbeit leben.”
Quiet Quitting ist kein Freifahrtschein für schlechte Arbeit oder negatives Verhalten am Arbeitsplatz. Wer seinen Job “mehr schlecht als recht” macht, ist genau das – eine schlechte Arbeitskraft. Das fälschlicherweise mit Quiet Quitting gleichzusetzen, verzerrt nicht nur die Debatte um das Thema, sondern eröffnet enormes Konfliktpotential.
„Es ist uns komplett egal, wie viel Zeit jemand investiert (…), wir legen Wert auf Output”
Der Widerstand der jungen Generation gegen eine ausbeuterische Arbeitskultur ist für viele verständlich. „Quiet Quitting ist absolut nachvollziehbar”, gesteht Csörgits. „Es ist eine gewisse Arroganz und Überheblichkeit in Sachen Führungsstil, wegen der man sich mental distanziert.” Firmen versuchen Mitarbeiter:innen mit Social Benefits zu halten, nehmen dabei aber keinen Bezug auf deren wirkliche Bedürfnisse. Und: „Es würde immer schwieriger, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer:innen zusammenfinden“, sagt Simon Hasenauer, CSO von Warrify, einem Start-up für digitale Kassenbelege. Er sieht der Zukunft der Arbeitswelt mit gemischten Gefühlen entgegen. Der Arbeitsmarkt hat sich durch die Pandemie, aber auch neuen Erwartungen auf beiden Seiten verändert. Das Problem liege darin, dass einerseits das Employer-Branding nicht funktioniert und die Arbeitnehmer:innen nicht an die Unternehmensmission glauben, oder häufig nicht miteinbezogen werden.
Auch für Fritz Csörgits gilt es an diesen Stellschrauben zu drehen: „Wenn ich dir die Möglichkeit gebe, deine Interessen beruflich einzusetzen und dir auch die Freizeit einräume diese außerhalb auszuleben, dann wirst du kein Quiet Quitter werden. Wertschätzung ist für mich das höchste Gut.” Laut Hasenauer sollte der Arbeitsmarkt das Entgeltmodell völlig neu definieren und ergebnisorientierter entlohnen. Flexibilität am Arbeitsplatz und das Definieren von Zielen in Form von Arbeitspaketen sind Schlüssel zum Erfolg.
„Es ist uns komplett egal, wie viel Zeit jemand investiert, was dafür gemacht wird, wo es gemacht wird und wann. Wir legen Wert auf Output.“ Man muss die Mitarbeiter:innen in die Zielsetzung des Unternehmens einbinden und bewirkt so, dass diese nicht mehr arbeiten müssen, sondern wollen. Dabei führt aber ein entsprechendes Schnüren von Arbeitspaketen zu einer angemessenen Stundenanzahl. Er hat am Ende dafür zu sorgen, dass die Anreize der Mitarbeiter:innen passen und die Arbeit einen bestimmten Zweck hat. “Ich denke, das ist es, was einer Gen Z immer wichtiger geworden ist, dass es eine bestimmte Bedeutung und einen bestimmten Zweck dahinter gibt, hinter dem, was man tut“, fasst Hasenauer zusammen.
Weiterführende Links:
NeueZeit.at: Von 70 auf 37 Wochenstunden: So hat Österreich in den letzten 150 Jahren die Arbeitszeit verkürzt
NZZ: Generation Z: Netto null Zukunft
Vice: Niemand will sich mehr sein Leben von der Arbeit diktieren lassen
Beitragsbild: fist-7391611_1280 von Markus Kammermann – makabera bei pixabay.com ist lizenziert unter CC BY