Willkommen im Königreich Deutschland 

„Die Bundesrepublik Deutschland ist kein völkerrechtsmäßiger Staat“, behauptet Matthias, ehemaliger “Bürger” des Königreich Deutschlands. Um ein neues Zeitalter einzuläuten, schloss sich der Wiener dem selbsternannten Monarchen Peter Fitzek an und renovierte eine Ruine in Sachsen.

von Mario Pichler und Martin Zimmermann

„Ich war in einer persönlichen Krise. Diese Welt mir hat nichts mehr gegeben. Ich habe sehr auf mein Gefühl gehört, als ich hingegangen bin“, sagt Mathias über die Entscheidung, seinen Lebensmittelpunkt von Wien nach Sachsen zu verlagern und sich dem Königreich Deutschland anzuschließen. Zu Pandemiebeginn habe ihm ein „energetischer Heiler“ in Freiburg das Staatsprojekt von Peter Fitzek gezeigt.

Staatsverweigernde Gruppierungen werben oft bei Workshops um ihre Anhänger. „Ich habe mir angehört, was spirituelle Menschen sagen und festgestellt, dass diese Menschen in ihrer Entwicklung ein bisschen weiter sind als Menschen, die diese Welt eben nicht sehen“, sagt der 22-Jährige.  Im Zivildienst während Corona beschäftigte er sich mit Verschwörungstheorien und entschloss sich später zu einem radikalen Lebenswandel. „Ich habe Tarotkarten gelegt und die waren mehr als eindeutig“, sagt er.

In Krisenzeiten erfahren Verschwörungsmythen dank einfachen Antworten auf komplizierte Fragen mehr Zustimmung. Die Coronapandemie und der russische Angriffskrieg brachten Bewegungen, die den Staat ablehnen, erneuten Aufwind. „Die Bundesrepublik Deutschland ist kein völkerrechtsmäßiger Staat“, behauptet Matthias. Von Widerstand will er nicht sprechen: „Anders als in der restlichen alternativen Szene ist das Königreich nicht im Kampf mit dem alten System, wir wollten einfach etwas Neues machen.“

Wie andere Mitglieder staatsverweigender Gruppierungen war auch Matthias ein Gegner der Coronamaßnahmen. (Beispielbild) Ivan Radic, CC BY 2.0 https://creativecommons.org/licenses/by/2.0, via Wikimedia Commons

Etwa 4.000 Personen, die dem staatsverweigernden Milieu zugeordnet werden, stehen unter Beobachtung in Österreich. Davon ist nur ein kleiner Anteil radikalisiert. Es reicht, sich als Mitglied bei einer staatsverweigernden Organisation einzutragen, um auf der Beobachtungsliste des Staatsschutzes zu landen. Die Verurteilungen dieser Masse bleiben dreistellig, Ideologien in der Szene variieren.

Die relevantesten Gruppierungen hierzulande sind der International Common Law Court of Justice Vienna (ICCJV), der Global Court of the Common Law (GCCL) und mit etwa 1.500 Mitgliedern allen voran der Staatenbund Österreich. Letztes Jahr wurde die Präsidentin des Staatenbundes und ihr Stellvertreter wegen Hochverrat zu 12 und zehnjährigen Haftstrafen verurteilt, was wohl den Zuwachs der Szene eindämmte. Die Präsidentin versuchte die Führungskräfte des Bundesheeres dazu zu bewegen, ihren Putschversuch zu unterstützen.

In Deutschland genießt unter anderem das „Königreich Deutschland“, ausgerufen von Koch und Aktivisten Peter Fitzek mediale Aufmerksamkeit. Der gebürtige Sachse glaubt laut Matthias, „dass Politiker Marionetten sind und Menschen, die satanische Riten wollen, die Geschicke der Welt kontrollieren“. Er erklärt die Vision von Fitzek: „Am Anfang regiert Peter als oberster Souverän, der die volle Kontrolle hat. Solange, bis Menschen, die Verantwortung übernehmen wollen, eine Basis-Demokratie aufbauen, die einen König als Repräsentanten hat. So wie in England.“

Gegen Fitzek wird in mehreren Strafverfahren ermittelt, zum Beispiel wegen unerlaubten Finanzgeschäften. Er ist Mitbegründer des Vereins „Neu-Deutschland“, mit dem Ziel, das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 wieder zu errichten. Durch Siedlungsprojekte wie Bärwalde in Sachsen möchte er es zurückerlangen. “Die Idee ist, dass ein neues Zeitalter anbricht auf der Erde. Das kennt man aus mythologischen Erzählungen und ist aus der New Age Bewegung”, sagt Matthias.

Renovieren in Sachsen statt studieren in Wien

Inklusive Probezeit „war ich dann ein Jahr beim Dorfprojekt Bärwalde dabei”, erzählt er. Die Pandemie ist ein Schlüsselerlebnis für ihn, auf Corona-Demos wird er erneut auf das Königreich Deutschland aufmerksam. „Ich habe die Corona-Tests völlig verweigert und mein Lehramtsstudium abgebrochen“, erklärt er. Danach habe Matthias ein Jahr als Tischlergehilfe gearbeitet, „weil ich mir dachte, das ist sinnvoll, wenn ich ins Königreich gehe. Das wird immer gebraucht.“

Bärwalde liegt in der Oberlausitz, nicht weit von der polnischen Grenze entfernt. Dank günstigen Baugrunds liegen die meisten Dorfprojekte im Osten Deutschlands. Die Mitglieder kaufen gemeinsam Grundstücke und Immobilien, um sie als „Staatsgebiet“ zu erklären. 2022 erwarben siedas Schloss Bärwalde, in dem Matthias schließlich ein Zimmer bezieht. Peters Ansatz: „Wir kaufen uns ein leistbares Gelände und nehmen in Kauf, dass wir es renovieren müssen“, sagt Matthias.

Im Schloss Bärwalde in der Oberlausitz fand das „Königreich Deutschland“ ein Zuhause. ( Bild: Tommes wikimedia https://creativecommons.org/share-your-work/licensing-considerations/compatible-licenses/) 

Er landet anfangs im Handwerksteam: „Ich habe die alten Fenster renoviert. Das Schleifen und Kitten war echt schön. Ich habe Musik in meinem Kämmerchen angemacht, und es fühlte sich nicht mehr nach Arbeit an.“ Es muss viel getan werden, über Strom und Heizung verfügen große Teile der Ruine noch nicht. Der Arbeitsalltag baut laut Matthias auf Selbstverantwortung: „Die einzige Regel war, dass man etwa um neun beginnt und mindestens sechs Stunden arbeitet. Und wenn man mag, mehr.“

Dafür bekommen sie „ein paar hundert Euro“ und die staatseigene Währung „E-Mark“. Auf den Euro sei man im Königreich wenig angewiesen: „man braucht das nur für Kleidung und vielleicht Pflegeprodukte“, sagt Matthias. Essen und Wäsche waschen sei sogar gratis. Die königliche Währung sei der wichtigere Punkt des Ganzen: „Wir hatten einen separaten Wirtschaftskreislauf. Da gibt es einen Online-Markt, so wie Ebay, wo man handeln kann.“ Ein Euro entspricht im Wechselkurs etwa 0,9 E-Mark.

Die kann man steuerfrei in der “Königlichen Reichsbank” zwar ein- aber nicht mehr rücktauschen. Der Staatenbund Österreich hat mit Kennzeichen, Dokumenten und Merchandise etwa 150.000 bis 200.000 Euro eingenommen. Die Mitgliedsurkunde kostete 10 Euro. Anfangs wurden die Dokumente noch zum Produktionspreis angeboten, später verdienten der Pseudo-Staat und seine Funktionäre daran. Da die Führung eines “Staates” samt Pensions-, Finanz- und Gesundheitssystem doch recht zeitaufwendig ist und Geld benötigt, wurde dann irgendwann mit Aufpreis vertrieben.

Später wird Matthias für den Telefondienst eingeteilt: „dann habe ich im Gemeinschaftsaufbau mitgeholfen. Meine Aufgabe war Unterstützer anzusuchen. Also es gibt Menschen, die das Königreich kennenlernen wollen und sich melden.“ Die Ideologien innerhalb der Szene variieren sehr, es gibt rechte sowie linke Strömungen. Im Königreich Deutschland sei man „vegan oder vegetarisch und sehr naturliebend. Also sehr alternativ und naturverbunden“, was laut Matthias eher mit links assoziiert wird.

Holocaust wird hinterfragt

Die Mitglieder des staatsverweigernden Milieus sind fast repräsentativ für die österreichische Bevölkerung. Die Altersgruppe der 40- und 50-Jährigen ist besonders stark vertreten. Tendenziell überwiegen ein männlicher Anteil und eine ländliche Herkunft. Im Königreich Deutschland sei es laut Matthias auch so: „Wir hatten Mitglieder aller Berufsklassen und Altersgruppen. Die Baby-Boomer waren prozentuell noch am meisten vertreten.“

In Bärwalde herrscht seiner Auffassung nach vor allem „Wut auf das System, die antreibt den bestehenden Staat in Frage zu stellen und einen „Staat im Staat“ aufbauen zu wollen. Etwa 25 Menschen gehörten zur Kerngemeinschaft, die Bewohner wechselten oft. Innerhalb der Anhängerschaft gibt es Kooperationen mit anderen Organisationen der staatsverweigernden Szene. 

Matthias erklärt, was es bedeutet, „Alternativ“ zu denken: „Seien es alternative Heilmethoden, Spiritualität oder 9-11. Wenn ich Sachen hinterfrage, komme ich zum Schluss, dass die offizielle Version nicht stimmen kann. Wenn es um den Holocaust geht, dann darf man gewisse Dinge auf gar keinen Fall sagen. Menschen, die alternativ denken machen da nicht mit und stellen diese Dinge infrage“, zum Beispiel „was heißt Rechtsextrem überhaupt? Ich kann nachempfinden, warum die Nazis als linke Sozialisten gesehen werden.“

Man könne sagen, „dass es vereinzelt welche gibt, die auch mit den Nazis sympathisieren. Aber die meisten halten von der AfD nichts.“ Oft sehnen sich Anhänger jener Bewegungen nach einem “starken Führer”. Ein Sinnbild, welches der selbsternannte Monarch Peter Fitzek verkörpern will. Militante Rechtsextreme oder auch nur großes Interesse an tagespolitischem Geschehen sieht Matthias bei den anderen Bewohnern nicht.

Eine Militarisierung von Staatsverweigerern ist in Österreich höchstens durch vereinzelte Waffentrainings zu verzeichnen. Dennoch kommt es überdurchschnittlich oft zu Waffen- und Sprengstofffunden in der Szene. 2023 wurden dazu Hausdurchsuchungen im niedrigen zweistelligen Bereich durchgeführt.

Der sogenannte „Papierterrorismus“ dient aktuell als Hauptwaffe gegen den österreichischen Staat. Mitarbeiter:innen der Ministerien werden über ausländische Inkassofirmen mit Zahlungsforderungen bombardiert. Diese müssen ein bürokratisches Prozedere durchlaufen, um abgelehnt zu werden, was den staatlichen Apparat geringfügig hemmt. „Dem höheren Recht entsprechend müssen wir uns den Gesetzen nicht beugen“, findet Matthias.

In Deutschland sind Staatsverweigerer um ein Vielfaches relevanter als in Österreich. Der nachrichtendienstliche Aufwand hierzulande entspricht dabei etwa dem eines deutschen Bundeslandes. So kann man in Österreich bis dato keine grobe Gewalt gegen die Exekutive in den vergangenen 10 Jahren feststellen. In Deutschland wurden zwei Polizeibeamte von Staatsverweigerern erschossen.  

Man Vermutet eine hohe Dunkelziffer an autonom lebenden Communities, die nicht großartig auffallen wollen. Oft scheitern Siedlungs- bzw. Festungsprojekte wie am Beispiel Bärwalde an finanziellen oder zwischenmenschlichen Ursachen: „Zwischen der gemeinschaftlichen Ausrichtung im Schloss und der des Königreichs insgesamt gab es gewisse Differenzen. Der Standortleiter hat dann gesagt es funktioniert nicht mehr und einige sind mit ihm gegangen“

Matthias kehrt dem Königreich Deutschland nach einem Jahr den Rücken. „Als die meisten weg waren, habe ich dann gemerkt, dass es für mich auch zu Ende ist“, erinnert er sich. Matthias befindet sich jetzt in einer Phase der “Umorientierung”. In “alternativen Kreisen” verkehrt er aber nach wie vor. Den Verschwörungsmythen abgeschworen hat er nicht. Er sieht sich an einem Punkt angelangt, an dem er dem „Kampfmodus“ abgeschworen hat. „Ich glaube, dass jeder Mensch manchmal mehr, manchmal weniger abseits der Norm denkt. Im Grunde des Herzens geht es ja nur darum, dass jeder Versucht der Wahrheit näher zu kommen und sagt, was er denkt. Und man kann sich davon bereichern lassen oder eben nicht“, sagt Matthias abschließend.